„Ich habe Krebs … was das alles ins Rollen bringen kann“
Wenn Krebs und die Aussage „Sie haben einen Tumor“ ins Spiel kommt, verbreitet das Angst und Schrecken, zu Recht. Vieles gerät ins Wanken. Vieles bleibt unausgesprochen. Man fühlt sich einsam und in einer existentiellen Krise.
Bevor Vermutungen ins Kraut schießen oder man sich im Strudel negativer Gedanken verliert, kann es hilfreich sein, mit sich in einen Dialog zu gehen. Wer selbst sprechen kann, sich wagt zu äußern, behält die Deutungshoheit über die Situation und erntet soziales Eingebettetsein.
In der Therapie/Begleitung in Familienkrisen geht es darum, Worte und Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen für das, was scheinbar nicht auszuhalten ist.
– mit Betroffenen mitschwingen, Tiefs aushalten, einfühlsam begleiten
– miteinander sprechen und das Schweigen brechen
– herausfinden, was wünschst du dir von mir
– ermutigen, vor Kindern die neue Situation nicht zu verheimlichen, auch wenn das oft als vermeintlich beste Absicht erwogen wird; wenn ein Kind nicht weiß, warum es Papa schlecht geht und Mama oft traurig ist, sucht es schnell die Schuld bei sich selbst.
Manche assoziieren Krebs mit Tod und Lebensende ; als Betroffene/r kann man sagen „Ich habe eine schwere Krankheit und werde dagegen behandelt; evt. kann ich wieder gesund werden.“ Denn: in den letzten Jahrzehnten hat sich viel getan, Behandlungen und Heilungschancen sind gestiegen.
Im Laufe der Jahre wachsen Haare, Kräfte und Selbstbewusstsein wieder. Vielleicht ist jemand so leistungsfähig wie vor der Diagnose, vielleicht nicht. Von außen ist das nicht immer erkennbar und kann dazu führen, dass das Umfeld einen über- oder unterschätzt. Das kann ich nur ändern, indem ich mich äußere – zum Glück können andere keine Gedanken lesen oder meine Gefühle.
Es kann Not wenden, wenn ich meine Sorgen zeige oder trauere. Wir Menschen haben diese Gabe als Bandbreite des Lebens mit auf die Welt bekommen und Belastendes auszuschließen, das ist genauso dramatisch, wie wenn ich Freude ausschließe.
Familienkrisenarbeit hat einen Blick für alle Betroffene
Es ist es so wichtig, Familienkrisenarbeit für alle Betroffene anzubieten, um Dinge wieder ins Gleichgewicht zu bekommen und Familien zu ermutigen, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich nicht zu schämen für ein echtes Gefühl.
Kinder und Jugendliche mit ihren oft direkten unmittelbaren Fragen werden in höchstkritischen Situationen oft nicht gehört, sie laufen innerlich weg oder sie verstummen. Ob vermeintlich sachliche Fragen oder turbulent emotionale Fragen, sie können in einem wertschätzend zugewandten Kontakt aufgenommen und sachlich angegangen und beantwortet werden. Erst wenn Kinder das Drumherum begriffen haben, können sie sich je nach Alter auf weiteres einlassen.
Zunächst geht es in der Therapie/Begleitung um das persönliche Kennenlernen und um Aufbau eines vertrauensvollen Kontaktes. In zugewandter Atmosphäre kann die herausfordernde Lebenssituation mit unbedingtem Interesse an der Person angeschaut, bearbeitet und Perspektiven gemeinsam entwickelt werden.
Einige konkrete Beispiele aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen:
– Waffeln backen, Kakao trinken und ins Gespräch kommen
– Lichtertüten gestalten, auf die wir Lichtmomente schreiben, also gute Momente, die in der traurigen Zeit schon erlebt wurde, was schon geschafft ist
– über das Kerzen Anzünden fragen, wozu wir eine Kerze anzünden
– eine kreative Schreibarbeit zu: Was ist dein Allerheiligstes?
– überlegen, kann ich auch meine Sorge oder Trauer teilen? Kann ich mit-teilen? Mit wem teile ich etwas und wo halte ich was zurück?
– Traumfänger basteln und darüber sprechen… ob ich schlechte Träume habe oder ob mir die Dunkelheit zu schaffen macht, sehe ich manchmal “Gespenster”?
– Sachbilderbücher anschauen
– spielen, malen und kreatives Gestalten
– innere Zeitreisen machen, um unsere wahren Bedürfnisse zu erspüren
– Wie sähe mein Alltag aus , wenn ich 10 Jahre älter wäre, wenn ich mit Freunden unterwegs wäre, wenn ich umgezogen wäre ….
Die Erfahrungen im gemeinsamen Tun und Gefühle aus den Imaginationsübungen navigieren den weiteren Lebensweg.
Therapie/Begleitung als ein schöner Ort für schwere Momente
Im Grunde ist es so: Wenn unser Herz voll ist mit Sorgen und Trauer, dann passt auch nicht viel Humor und Freude rein. Aber wenn ich mein Herz ausschütte im wahrsten Sinn des Wortes durch Reden, durch Tun, durch Beten, durch Bewegung, durch Weinen, dann passen auch wieder Mut, Lachen, Zuversicht und auch Lebensfreude da rein. Und so kann Therapie/Begleitung in Familienkrisen ein schöner Ort für schwere Momente werden.
Ich möchte Eltern ermutigen und sage, ihr könnt das und ihr könnt auch eure Kinder trösten und ihr müsst keine Angst vor der Traurigkeit haben. Ihr müsst viel mehr Angst haben, dass eure Kinder nicht traurig sein können oder wollen oder dürfen.
Ich biete über die Dehrner Krebsnothilfe Familiengespräche, Paargespräche und Einzelgespräche für Kinder und Jugendliche an, die alle spendenfinanziert sind. In Deutschland und auch in anderen Ländern ist Trauerbegleitung nicht refinanziert und daher wird ein Verein wie die Dehrner Krebsnothilfe so wichtig. Das ist tragisch, weil Krisen- und Trauerbegleitung sehr hilfreich sein kann, damit man keine psychische Störung entwickelt. Leider setzt unser Gesundheitssystem erst dann an, wenn die Störungen da sind.
Letztlich geht es um die Hoffnung!
Es bringt mir Hoffnung, dass im echten Austausch über das Leben immer mehr von unten und innen geschieht und dass sich dadurch – so glaube und erlebe ich es – der einzelne Mensch, das Familiensystem und die Gesellschaft verändern kann.
Es gibt mir Hoffnung für mein eigenes Älterwerden, denn wenn ich eines Tages im Krankenhaus bin oder vielleicht im Pflegeheim, dann wäre das so wertvoll, wenn Menschen mich umgeben, die keine Angst vor Krankheit, Tod, Trauer und Sterben haben, die zulassen, dass wir alle richtig sind mit unseren Gefühlen.